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»Gutes Management hat mit Hierarchie nichts mehr zu tun«

Interview mit Ali Wichmann

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Der Theatermacher Ali Wichmann hilft Unternehmen spielerisch aus der Krise – indem er interne Konflikte auf die Bühne bringt. Und das funktioniert?

Interview ZEIT ONLINEMyriam Apke, 08/2019, Hamburg

Ali Wichmann (69) hat in Hamburg das Scharlatan gegründet – ein Theater, das Unternehmern und Mitarbeitern helfen soll, interne Konflikte zu lösen. Wichmann ist gelernter Maschinenschlosser, Philosoph mit Staatsexamen und begann mit Anfang 30, Schauspielunterricht zu nehmen. Zunächst verdiente er sein Geld mit Straßentheater, bis er durch Zufall seinen ersten Auftrag bekam. Heute coacht er Manager im richtigen Auftreten und motiviert Mitarbeiter dazu, ihren Chef zu kritisieren.

ZEIT ONLINE: Herr Wichmann, wann haben Sie angefangen, die Probleme von Firmen auf die Bühne zu bringen?

Ali Wichmann: Das war 1985. Wir tingelten durch die Fußgängerzonen des Landes, als die Stadtreinigung Westberlins auf uns aufmerksam wurde und uns engagierte: Wir sollten ihren Mitarbeitern zeigen, wie man höflich mit Passanten umgeht.

ZEIT ONLINE: Wie haben Sie das gemacht?

Wichmann: Wir spielten vor den Mitarbeitern eine Szene, in der eine Frau ihren Pizzakarton achtlos auf den Boden schmiss und daraufhin von einem Straßenkehrer wüst beschimpft wurde. Dieselbe Szene spielten wir noch mal; diesmal sollten die Mitarbeiter aber eingreifen und den Akteuren sagen, was sie anders machen können. Das Witzige war, dass alle das Verhalten der Frau kritisiert haben und ändern wollten, niemand das des Straßenkehrers. Da haben wir gesagt: Das sind eure Kunden, die könnt ihr nicht ändern. Ihr könnt nur bei euch ansetzen.

ZEIT ONLINE: Das hatte Erfolg?

Wichmann: Oh ja, das funktioniert immer! Das Prinzip ist, sehr offensichtlich ein Fehlverhalten oder einen Konflikt zu zeigen. Die Zuschauer merken, dass etwas nicht stimmt; dass sie sich selbst oft so verhalten und beginnen, sich zu reflektieren. Zudem arbeiten wir viel mit Komik: einem sehr wirksamen Mittel, um Menschen auf nette Weise vor Augen zu führen, was sie falsch gemacht haben. Und wenn alle im Publikum lachen, schafft das ein Gemeinschaftsgefühl, sodass es hinterher einfacher wird, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. 

ZEIT ONLINE:Wer beauftragt Sie?

Wichmann: Ganz unterschiedlich: Manchmal sind es Geschäftsführer kleiner Unternehmen, die Hilfe bei der Mitarbeiterführung brauchen; manchmal ist es die Personalabteilung eines Konzerns, der mit einer anderen Firma fusioniert. Nun wird aus zwei Teams eines gemacht – das birgt ein hohes Konfliktpotenzial.

ZEIT ONLINE:Der Stoff für die Theaterstücke kommt also aus den Unternehmen?

Wichmann: Genau, die Auftraggeber nennen uns ihr Thema oder Problem und wir gehen daraufhin in die Firmen und führen mit Managern und Mitarbeitern Gespräche. Aus den Interviews entstehen die Stücke, sodass der Stoff ganz nah an dem ist, was die Leute erleben, fühlen und denken. Wenn sie uns nachher spielen sehen, können sie sich damit identifizieren.

ZEIT ONLINE:Wie haben sich die Konflikte in den vergangenen 30 Jahren verändert?

Wichmann: Früher haben wir von der Führungsebene den Auftrag bekommen, den Mitarbeitern zu zeigen, wie sie es im Sinne des Unternehmens richtig machen: mit Kunden, Vorgesetzten, Kollegen. Konflikte zwischen Führungskraft und Mitarbeiter gab es nicht, weil an den Hierarchien nie gerüttelt wurde. Wenn sich also jemand verändern musste, war es der Mitarbeiter. 

ZEIT ONLINE: Und heute?

Wichmann: Heutzutage geht es darum, Hierarchien abzuschaffen oder zumindest so flach wie möglich zu gestalten. Unternehmen wollen Teams aufbauen, die gut zusammenarbeiten und schnell auf bestimmte Herausforderungen reagieren können. Gutes Management hat mit Hierarchie also nichts mehr zu tun, stattdessen gilt das Motto: Führen kann man im Unternehmen nur sich selbst.

ZEIT ONLINE: Sind die Manager dafür offen?

Wichmann: Völlig unterschiedlich. Es gibt immer Menschen, die keine Veränderung wollen oder Grenzen haben. Ein Manager einer großen Bank hat beispielsweise mal gesagt: Ich mache alles mit, ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt. Aber an einem dürft ihr nicht rütteln: an meinen Status.

ZEIT ONLINE: Wie greifen Sie dieses Thema im Theater auf?

Wichmann: Zum Beispiel durch die Figur des Arztes. Der hat einen hohen Status: Er gibt seinem Team Anweisungen, sagt den Patienten, woran sie leiden und was sie tun müssen, damit es ihnen besser geht. Das Symbol für den Status ist der weiße Kittel; jeder der keinen Kittel hat, ist untergeordnet. Auf der Bühne würde die Figur des Arztes eine Entwicklung durchmachen und lernen, dass er den Kittel ruhig mal ablegen kann – trotzdem ist er noch der Arzt. Aber ohne Kittel kann er Mitarbeitern und Patienten anders begegnen. Er begibt sich mit ihnen auf eine Ebene und das führt zu einer ganz anderen Beziehung zwischen den Akteuren.

ZEIT ONLINE: Was lernt der Manager daraus?

Wichmann: Dass er nicht immer den Chef spielen muss, sondern durchaus Augenhöhe herstellen kann und trotzdem, oder gerade deswegen, respektiert und geschätzt wird. Nur so gelingt es, über Vertrauen zu führen; nicht über Status und Macht.

ZEIT ONLINE: Führung funktioniert also nur über Vertrauen?

Wichmann: Zumindest, wenn Chefs heute gute und engagierte Mitarbeiter wollen. Die neue Generation will umhegt werden und wissen, warum gerade sie im Unternehmen sind, was der Sinn ihrer Arbeit ist und dass sie Verantwortung tragen.

ZEIT ONLINE: Sie sind ja selber Chef, wie lief es bei Ihnen?

Wichmann: Tja, ich musste auch viel lernen und nicht alles hat so geklappt, wie ich wollte. Ich habe meinen Mitarbeitern beispielsweise immer gesagt: Meine Tür steht offen, kommt herein und sagt mir, was ich falsch gemacht habe. Das hat nie jemand gemacht. Als Chef muss man wahnsinnig viel tun, damit die Leute ehrliches Feedback geben. Aber wenn es passiert, ist das sehr hilfreich. 

 

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